ENDE DES „GESCHÄFTSMODELLS“ ABMAHNUNG?

Für Aufsehen hat ein Hinweisbeschluss des OLG Köln (Az.: 6 U 67/11) zur Berechnungsgrundlage für den Schadensersatz bei Filesharing gesorgt. Falls das OLG Köln die in diesem Beschluss eingeschlagene Linie ernsthaft und konsequent weitergeht, könnte dies der Anfang vom Ende des Massengeschäftes der Filesharing-Abmahnungen sein.

 

OLG Köln fragt genau nach

 

Dem Beschluss ist seine Sprengkraft nicht auf den ersten Blick anzusehen. Das Gericht teilt darin nur mit, dass es den Vortrag der Rechteinhaber zur Schadenshöhe noch nicht für ausreichend erachtet, um den durch das Anbieten eines Musikstücks in einer Tauschbörse entstandenen Schaden schätzen zu können.

 

Um die Aufregung um diesen Beschluss zu verstehen, muss dieser in die bisherige Rechtsprechung zum Thema eingeordnet werden. Bisher haben viele Gerichte bei der Schätzung des entstandenen Schadens anhand der Lizenzanalogie einen GEMA Tarif (VR W 1) zugrunde gelegt, welcher für die Nutzung eines Musikstücks aus dem GEMA Repertoire als Hintergrundmusik für Werbung per Streaming eine Mindestnutzungsgebühr von 100 € für bis zu 10.000 Abrufe vorsieht. Dabei wurde jedoch übersehen und nun vom OLG Köln aufgegriffen, dass es sich bei der Verbreitung eines Musikstücks per Filesharing weder um eine Verwendung als Hintergrundmusik, noch Werbung, noch Streaming handelt. Vielmehr hat das OLG Köln einen anderen GEMA Tarif (VR-OD 5) als Grundlage für die Schadensschätzung in Betracht gezogen. In diesem Tarif für die Nutzung von Werken für Music-on-Demand zum privaten Gebrauch gibt es jedoch keine Mindestvergütung für eine bestimmte Zahl von Abrufen, sondern eine Mindestvergütung für jeden einzelnen Abruf. Diese beträgt je Abruf eines Werkes unter 5 Minuten Spieldauer 12,78 Cent bzw. 19,16 Cent, wenn man Filesharing als Tausch- oder Geschenkgeschäft ansieht (das OLG Köln war zumindest in dem Hinweisbeschluss noch nicht dieser Ansicht).

 

Nicht zu früh freuen…

 

Solche Schadensbeträge im Cent-Bereich mögen für Filesharer zwar verlockend klingen, stellen aber noch nicht die endgültige Schadenshöhe in einem Filesharingprozess dar. Denn die Rechteinhaber können nach diesem Hinweis zu den einzelnen Faktoren, die das Gericht zu einer Schätzung des Schadens berücksichtigen soll, weiter vortragen.

 

Nachfolgend soll als Diskussionsbeitrag eine Möglichkeit der Schätzung des Schadens anhand des vom OLG Köln eingeschlagenen Weges aufgezeigt werden, die sich an drei Faktoren orientiert, der Anzahl der Uploads, den fiktiven Nutzungsentgelten und einer „Konversionsquote“.

 

Erster Faktor: Anzahl der Uploads

 

Dieser erste Prüfungspunkt dient zunächst dazu, abzuschätzen, wie groß der Tatbeitrag des Abgemahnten im Verhältnis zum Gesamtschaden durch Filesharing durch Tausende von Nutzern ist. Die an andere Nutzer übertragene Nutzdatenmenge stellt dazu einen tauglichen Indikator dar. Denn die technische Grundvoraussetzung einer Tauschbörse liegt in der Deckungsgleichheit der hoch- und heruntergeladenen Nutzdatenmenge. Es können also grundsätzlich nur so viele Kopien einer Datei erstellt werden wie Daten durch alle Nutzer zur Verfügung gestellt werden.

 

Zwar werden in der Praxis selten komplette Werke angeboten, sondern nur einzelne Teile davon, aber zur Vereinfachung wird hier davon ausgegangen, dass auch diese Teile jeweils urheberrechtlichen Schutz genießen und es für die Schadenshöhe keinen Unterschied macht, ob eine vollständige Kopie, zwei halbe oder zehn zehntel Kopien hochgeladen werden.

 

Zur Abschätzung des Tatbeitrag des Abgemahnten gilt es daher herauszufinden, welche Anzahl von Uploads einer Datei von einem einzelnen Nutzer überhaupt technisch möglich und welche Anzahl wahrscheinlich ist. Bereits diese Frage lässt sich bestenfalls annäherungsweise bestimmen, da in den wenigsten Fällen belastbare Daten vorhanden sein dürften.

 

Filesharing Programme speichern Upload-Datenmenge

 

Die einzigen aussagekräftigen Daten zur Anzahl der Uploads der Datei besitzt der Verletzer. Denn die meisten Filesharing-Programme halten für jede Datei oder jedes Verzeichnis genau fest, welche Nutzdatenmenge hierzu herunter- bzw. hochgeladen worden ist. Dieses Datenvolumen geteilt durch die Dateigröße ergibt einen recht genauen Anhaltspunkt, wie viele Uploads von dem jeweiligen Verletzer zu verantworten sind. In vielen Fällen dürfte jedoch das Tauschbörsenprogramm so eingestellt sein, dass diese Statistiken zum Datenvolumen nach Fertigstellung des Downloads gelöscht werden. Ohne diese Daten des Tauschbörsenprogramms müsste nach der vom OLG Köln vertretenen Ansicht die Anzahl der Uploads geschätzt werden.

 

Gemessene Uploadbandbreite als Indikator

 

Für die Schätzung der Anzahl der Uploads hilft die einfache Formel

 

verwendete Uploadbandbreite x Uploadzeitspanne / Dateigröße = Anzahl der Uploads

 

weiter. Die Dateigröße ist bekannt. Die verwendete Uploadbandbreite, also die „Geschwindigkeit“, mit der der Verletzer eine Datei an andere Nutzer hochgeladen hat, lässt sich ungefähr schätzen. Dabei hilft in vielen Fällen die Geschwindigkeit, mit der die Ermittler der Rechteinhaber die Datei vom Verletzer heruntergeladen haben.

 

Viele Tauschbörsenprogramme teilen die vorhandene Uploadbandbreite nach festen Regeln auf die nachfragenden Nutzer auf. Grundsätzlich erhält jeder Nutzer denselben Anteil und bei vielen Programmen (z.B. Emule, µTorrent), werden nur eine begrenzte Anzahl gleichzeitiger Uploadvorgänge pro Datei ausgeführt. Diese Anzahl gleichzeitiger Uploadvorgänge ist zwar von der genutzten Software abhängig, kann aber durch einen Sachverständigen ermittelt werden. Eine gebräuchliche Anzahl von gleichzeitigen Uploads dürfte bei 4 liegen.

 

Wenn also die Ermittler der Rechteinhaber beispielsweise darlegen können, eine Datei mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 15 Kilobyte/Sek. vom Abgemahnten heruntergeladen zu haben und die Datei eine Stunde lang verfügbar war, bevor der Abgemahnte die Bereitstellung beendet hat, ergibt sich bei einer Dateigröße von 5 MB ein Schätzwert von ca. 42 Uploads (15 KB/s x 4 x 3600 s / 5120 KB = 42,2). Dies unterstellt natürlich auch, dass die Nachfrage nach der Datei groß genug ist, um die bereitgestellte Uploadbandbreite auszulasten. Gegebenenfalls ist ein moderater Abschlag von diesem Schätzwert vorzunehmen, weil davon auszugehen ist, dass die Uploadbandbreite nicht jederzeit vollständig für die Übertragung von Nutzdaten verwendet wird.

 

Die benutzte Uploadbandbreite ist grundsätzlich von der Leitungskapazität und den Einstellungen des Nutzers abhängig, wobei die Leitungskapazität die obere Grenze und die Nutzereinstellung eine mögliche Untergrenze darstellen. Die Obergrenze eines schnellen VDSL oder Kabelanschlusses mit 5 MBit/s Uploadbandbreite dürfte Übertragungsgeschwindigkeiten im Bereich von 550-600 KB/s ermöglichen, also im Beispiel oben ca. 380-420 Uploads pro Stunde. Bei gewöhnlichen DSL Anschlüssen mit 1 MBit/s Uploadbandbreite bei ca. 80 Uploads pro Stunde und so weiter.

 

Eine Begrenzung der Gesamtuploadbandbreite durch den Nutzer auf weniger als 4-5 KB/s dürfte am anderen Ende der Skala selten vorkommen, sodass im obigen Beispiel von einem Minimum von 2-3 Uploads pro Stunde anzunehmen ist.

 

Zahlen weit oberhalb der maximalen Schätzwerte dürften durch die Darlegung des Abgemahnten, er habe einen Internetanschluss mit geringerer Bandbreite, einfach gestalten. Schwieriger wäre jedoch für den Abgemahnten darzulegen, er habe die Uploadbandbreite der Tauschbörsensoftware auf einen geringeren Wert begrenzt oder die Zahl der gleichzeitigen Uploads eingeschränkt, da sich solche Einstellungen der Software jederzeit ändern lassen.

 

Zweiter Faktor: Fiktive Nutzungsentgelte

 

Der zweite Faktor für eine Schätzung des Schadens durch Filesharing ist die Höhe der Entgelte, die die Rechteinhaber bei ordnungsgemäßer Einräumung der notwendigen Nutzungsrechte hätten verlangen können.

 

Hier sind allein die Rechteinhaber in der Darlegungslast, sofern sie mehr als die vom Gericht anvisierten 12,78 bzw. 19,16 Cent verlangen. Da jedoch die GEMA anscheinend die einzige Verwertungsgesellschaft ist, die auch Tarife für on-Demand-Download veröffentlich, wird sich zeigen, ob die Rechteinhaber für ein paar Cent mehr je nachgewiesenem Upload ihre eigene Kalkulation oder gar Verträge mit kommerziellen Downloadportalen offenlegen wollen.

 

Hier bleibt es spannend, welche Zahlen seitens der Rechteinhaber als Antwort auf den Hinweisbeschluss vorgelegt werden.

 

Dritter Faktor: „Konversionsquote“ von kostenlosen zu kostenpflichtigen Downloads

 

Dieser dritte Faktor der Gleichung zur Schadensberechnung dürfte der unsicherste und meist umkämpfte sein.

 

Hintergrund der „Konversionsquote“ ist eine Frage, die im Schadensersatzrecht immer aufgeworfen werden muss und hier kaum zu beantworten ist: die Frage nach der Kausalität.

 

Ersatz für entgangene Nutzungsentgelte kann vom Abgemahnten nur verlangt werden, wenn seine Filesharing-Aktivitäten kausal für diese Umsatzminderung waren. Für den Einzelfall lässt sich diese Kausalität nicht feststellen, da es nicht möglich ist, alle Nutzer, die von dem Abgemahnten eine Datei heruntergeladen haben, zu fragen, ob sie das Werk ansonsten entgeltlich erworben hätten. Hierzu sind stattdessen Statistiken notwendig, die sich im Wesentlich auf Umfragen stützen. Zu der Frage: „Haben sie ein Musikstück deswegen nicht gekauft, weil sie es in einer Tauschbörse heruntergeladen haben?“ gibt es zwar diverse Studien und Umfragen, jedoch kommen diese oft zu völlig gegensätzlichen Ergebnissen. Dies kann mit der Nähe der Auftraggeber der jeweiligen Studie zu einem der beiden Lager (Musikindustrie oder Filesharer), mit unterschiedlich formulierten Fragen oder unterschiedlicher Einordnung der Antworten zu erklären sein, ändert aber an der weiten Spanne der Ergebnisse nichts. Von Aussagen wie „Filesharer geben überdurchschnittlich viel Geld für Musik aus“ und „Filesharer laden Musik nur zum Probehören herunter – was gefällt wird auch gekauft, alles andere wäre ohnehin nicht gekauft worden“ auf der einen Seite bis zu Aussagen wie „Filesharer sind Schmarotzer, die nur ihre eigene Kostenersparnis sehen“ und „ohne Filesharing hätte es keine Umsatzeinbrüche in der Musikindustrie gegeben“ auf der anderen Seite ist fast alles vertreten.

 

Die schwierige und undankbare Aufgabe, dieser haftungsausfüllenden Kausalität einen annähernd realistischen Wert zuzuordnen, fällt nun dem OLG Köln zu, sofern es seiner vorgegebenen Marschrichtung bis ins Detail zu folgen bereit ist.

 

Fazit

 

Die vom OLG Köln eingeschlagene Richtung in der Schadensberechnung steht im Gegensatz zur bisherigen pauschalen Schätzung auf einer fundierten Grundlage. Leichter macht es sich das OLG Köln damit keinesfalls, denn es eröffnet die Möglichkeit eines vielschichtigen und sehr technisch geprägten Vortrags beider Parteien. Mit einer guten, von technischem Sachverstand geprägten Beweiswürdigung hat das OLG Köln allerdings die Möglichkeit, ein eindeutiges Signal gegen eine pauschale π mal Daumen Schadensberechnung zu senden.

 

 

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