NEUES WIDERRUFSRECHT BEI FERNABSATZVERTRÄGEN

Von Rechtsreferendar Martin Petroll

 

Die Widerrufsbelehrung im Fernabsatz muss schon wieder überarbeitet werden. 

 

Nachdem der Bundestag am 26.05.2011 das „Gesetz zur Anpassung der Vorschriften über den Wertersatz bei Widerruf von Fernabsatzverträgen und über verbundene Verträge“ verabschiedet hat und dieses am 17.06.2011 den Bundesrat ohne Einspruch passiert hat, ist es am 03.08.2011 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden.
Jetzt läuft eine dreimonatige Umstellungsfrist, in welcher das neue Recht zwar bereits gilt, die alten Widerrufsbelehrungen aber nach wie vor verwendet werden dürfen.
Unternehmer sollten die Übergangszeit nutzen, ihre AGB zu überarbeiten und insbesondere ihre Widerrufsbelehrung dem neuen Recht anzupassen. Nach Ablauf der Umstellungsfrist drohen wettbewerbsrechtliche Abmahnungen.

 

Hintergrund

 

Am 03.09.2009 hat der Europäische Gerichtshof in der „Messner“- Entscheidung (EuGH Az.: C-489/07) vorgegeben, dass die Bestimmungen der EG-Richtlinie 97/7 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz mit deutschem Recht kollidieren. Im Kern ging es dabei um die Frage, ob ein Verkäufer von einem Verbraucher, der eine Ware per Fernabsatzvertrag erworben hat, nach fristgerechter Ausübung seines Widerrufsrechts generell Wertersatz für die Nutzung der Ware zu leisten habe. Nach Ansicht des EuGH ist eine generelle Wertersatzpflicht europarechtswidrig, da Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der EG-Richtlinie 97/7 bestimmt, dass die einzigen Kosten die dem Verbraucher auferlegt werden können, Rücksendekosten sind. Eine generelle Auferlegung von Nutzungsersatz könnte den Verbraucher davon abhalten, sein Widerrufsrecht auszuüben. Nach Ansicht des EuGH ist das Widerrufsrecht im Fernabsatzverkehr ein besonderer Schutz, denn im Gegensatz zu dem Käufer, der die Ware in einem Ladengeschäft erwirbt, hat der Verbraucher im Fernabsatz nicht die Möglichkeit, die Ware auszuprobieren oder zu testen. Das Widerrufsrecht stellt deshalb einen Ausgleich für diese Nachteile im Fernabsatzverkehr dar. Diese Ausübung des Widerrufsrechts darf nicht erschwert werden. Jedoch stellte der EuGH auch fest, dass dies nicht bedeute, dass ein Wertersatz generell ausgeschlossen sei. Es komme entscheidend darauf an, dass Effektivität und Wirksamkeit des Widerrufs nicht beeinträchtigt werden.
Aufgrund dieser Entscheidung hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf mit den entsprechenden Änderungen im Widerrufsrecht beim Fernabsatz unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung in den Bundestag eingebracht.

 

Wesentliche Änderungen

 

Neben einer Anpassung des § 357 Abs. 2 BGB, der bisher den Wertersatz für eine Verschlechterung der Sache nach bestimmungsgemäßer Ingebrauchnahme regelte und einigen kleineren Änderungen, ist Herzstück der Reform die völlige Neufassung des § 312e BGB. Dieser regelt, unter welchen Voraussetzungen der Verbraucher in Zukunft Wertersatz zu leisten hat. Daneben enthält der ebenfalls neugeschaffene
§ 312f BGB Regelungen über den Fernabsatz bei Finanzdienstleistungen, auf diese hier aber nicht näher eingegangen werden soll. Die neuen Normen sehen wie folgt aus:

 

§ 312e BGB Wertersatz bei Fernabsatzverträgen 
(1) Bei Fernabsatzverträgen über die Lieferung von Waren hat der Verbraucher abweichend von § 357 Absatz 1 Wertersatz für Nutzungen nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt nur zu leisten,

 

1. soweit er die Ware in einer Art und Weise genutzt hat, die über die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise hinausgeht, und

 

2. wenn er zuvor vom Unternehmer auf diese Rechtsfolge hingewiesen und entsprechend § 360 Absatz 1 oder 2 über sein Widerrufs- oder Rückgaberecht belehrt worden ist oder von beidem anderweitig Kenntnis erlangt hat.

 

§ 347 Absatz 1 Satz 1 ist nicht anzuwenden.

 

(2) Bei Fernabsatzverträgen über Dienstleistungen hat der Verbraucher abweichend von § 357 Absatz 1 Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt nur zu leisten,

 

1. wenn er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und

 

2. wenn er ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt.

 

§ 357 BGB
(3) Der Verbraucher hat abweichend von § 346 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 Wertersatz für eine Verschlechterung der Sache zu leisten

 

1. soweit die Verschlechterung auf einen Umgang mit der Sache zurückzuführen ist, der über die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise hinausgeht, und

 

2. wenn er spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist.

 

Bei Fernabsatzverträgen steht ein unverzüglich nach Vertragsschluss in Textform mitgeteilter Hinweis einem solchen bei Vertragsschluss gleich, wenn der Unternehmer den Verbraucher rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung in einer dem eingesetzten Fernkommunikationsmittel entsprechenden Weise über die Wertersatzpflicht unterrichtet hat. § 346 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 ist nicht anzuwenden, wenn der Verbraucher über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden ist oder hiervon anderweitig Kenntnis erlangt hat.“

 

Die bisherigen §§ 312e bis 312g BGB finden sich nun in §§ 312g bis 312i BGB.

 

Folgen für den Unternehmer

 

Für den Unternehmer heißt dies, dass er in Zukunft von einem Verbraucher nur noch Wertersatz für Nutzungen verlangen kann, die über eine Prüfung der Eigenschaften und Funktionen der Ware hinaus gehen und dies auch nur dann, wenn der Verbraucher bei Vertragsabschluss ausreichend und richtig belehrt worden ist.
Welche Nutzung der Ware noch einer „normalen“ Prüfung entspricht und wann man bereits Gebrauchsvorteile annehmen kann, wird von den Gerichten näher konkretisiert werden müssen. Die Beweislast dafür, dass eine Nutzung über das Maß einer Prüfung hinausging, trägt der Unternehmer. Im Zweifel wird man sich daran orientieren können, was bei einem Kauf derselben Ware in einem Ladengeschäft an Prüfung der Eigenschaften und Funktionen, sowie Ausprobieren möglich ist. Denn Hauptaufgabe des Widerrufs bei Fernabsatzverträgen – so der EuGH – ist die Ausgleichung der für den Fernabsatz typischen Nachteile. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es wörtlich:
„Dem Verbraucher muss dabei die Möglichkeit eingeräumt werden, die Ware eingehend auf ihre Eigenschaften und ihre Funktionsweise zu untersuchen. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass der Verbraucher für eine Prüfung durch Ingebrauchnahme auch dann keinen Wertersatz leisten muss, wenn die Ware einen nahezu vollständigen Wertverlust erfahren hat – z. B. durch das Befüllen und Probeliegen eines Wasserbetts.
Dem Verbraucher muss es zumindest gestattet sein, dieselben Ergebnisse wie bei einer Prüfung im Ladengeschäft zu erzielen. Der Umstand, dass bei einer Prüfung der Ware zu Hause die im stationären Handel vielfach üblichen Beratungs-, Vergleichs- und Vorführmöglichkeiten fehlen, ist durch angemessene Prüfungsmöglichkeiten zu Hause auszugleichen.
Der Verbraucher darf also mit der Ware grundsätzlich so umgehen und sie so ausprobieren, wie er das in einem Geschäft hätte tun dürfen. Nicht umfasst ist jedoch die intensive, nicht zur Prüfung notwendige Nutzung. So darf etwa eine Fotokamera nicht in den Urlaub mitgenommen werden. Ein Kleidungsstück sollte der Verbraucher nur anprobieren, jedoch nicht über eine längere Zeit tragen dürfen. Regelmäßig zulässig dürfte es jedoch sein, wenn der Verbraucher das Kleidungsstück innerhalb der Widerrufsfrist zu Hause mehrfach anprobiert.
Gegenstände, bei denen eine Prüfung durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme oder ein Öffnen der Verpackung nach der Verkehrssitte nicht üblich ist (z. B. Hygieneartikel, verschweißte Medikamente), sollen weder im Ladengeschäft noch zu Hause auf diese Art und Weise geprüft werden dürfen. Der reine Besitz der Ware kann keine Pflicht zum Wertersatz begründen, da er notwendige Bedingung für die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise der Ware ist.“ 
(Regierungs-Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften über den Wertersatz bei Widerruf von Fernabsatzverträgen und über verbundene Verträge vom 17.03.2011 – Drucksache 17/5097, S.15)

 

Für den Wertersatz bei einer Verschlechterung durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache nach § 357 Abs. 3 BGB ist ebenfalls eine Nutzung über eine „normale“ Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise hinaus sowie eine entsprechende Belehrung in Textform notwendig.

 

Belehrung notwendig

 

Bei Fernabsatzverträgen über Dienstleistungen bedarf es neben der rechtzeitigen Widerrufsbelehrung (vor Abgabe seiner Vertragserklärung) einer ausdrücklichen Zustimmung des Verbrauchers, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. Nur unter diesen Voraussetzungen ist ein Wertersatz möglich.

 

Fazit: Schnellstens anpassen!

 

Aufgrund der Veränderungen im Widerrufsrecht, die das „Gesetz zur Anpassung der Vorschriften über den Wertersatz bei Widerruf von Fernabsatzverträgen und über verbundene Verträge“ mit sich bringt, sollten die betroffenen Unternehmer schnellstens ihre Widerrufsbelehrungen anpassen. Jetzt läuft die Umstellungsfrist von 3 Monaten. Danach ist bei Verwendung von alten Widerrufsbelehrungen mit der Versagung des Wertersatzsanspruchs aufgrund falscher Belehrung zu rechnen. Im Übrigen drohen wettbewerbsrechtliche Abmahnungen.

 

In Zuge der Reform wurden die Muster für die Widerrufs- und Rückgabebelehrung im EGBGB angepasst, deren Verwendung aus Rechtssicherheitsgesichtspunkten dringend zu empfehlen ist.
Die überarbeiteten Versionen der Musterbelehrungen finden Sie im Bundesgesetzblatt  in den Anlagen 1 und 2 zu Art. 246 § 2 Abs. 3 S. 1 EGBGB und in der Anlage zu Art. 247 § 6 Absatz 2 und § 12 Abs. 1 des EGBGB.

 

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